Frau hält Euronoten in der Hand

Banknoten: mehr als ein reines Zahlungsmittel

„Nur Bares ist Wahres“ – diese Volksweisheit scheint sich einmal mehr zu bestätigen. Die Corona-Pandemie hat zwar Bezahlvorgänge ins Digitale verlagert, doch hohe Inflationsraten und unsichere Zukunftsaussichten sorgen für eine Renaissance von Bargeld: Die Menge des im Umlauf befindlichen Bargeld steigt. 2002 kamen die ersten Eurobanknoten aus den Geldautomaten, produziert unter anderem von der Bundesdruckerei. Im Interview erklärt die in Wien forschende Wirtschaftspsychologin und Marktforschungsexpertin Prof. Dr. Julia Pitters, was im menschlichen Gehirn beim Kontakt mit Bargeld abläuft, welche Erinnerungen sie ganz persönlich mit den ersten Euroscheinen verbindet und warum attraktives Banknotendesign ein Erfolgsfaktor für die Zukunft ist.

Frau Prof. Dr. Pitters, erinnern Sie sich eigentlich an den Moment, als Sie selbst zum ersten Mal Eurobanknoten in den Händen hielten?

Ja, und ich habe mich sehr auf den Moment gefreut. Mein heutiger Ehemann kommt aus Österreich und wenn ich ihn besuchte, musste ich zuerst noch D-Mark in Schillinge umtauschen. Nicht nur deshalb war der Start des Euro-Bargelds am Neujahrstag 2002 ein freudig erwartetes Ereignis für mich. Die neuen Scheine kamen dann ja auch wirklich aus dem Automaten. Mich fasziniert bis heute, wie das logistisch reibungslos abgelaufen ist, in so vielen Ländern zeitgleich die neue Währung bereitzustellen. Das war wirklich eine Meisterleistung!

Zwanzig Jahre sind ein Zeitraum, in dem Beziehungen wachsen und sich verändern. Wie äußern sich Beziehungen von Menschen zu Banknoten? Mal ganz abgesehen von der Frage, wie viel wir besitzen.

Banknoten sind viel mehr als ein reines Zahlungsmittel. Der Umgang mit ihnen hat auch viele psychologische Facetten, die unter anderem mit der Haptik zu tun haben. Mit Geld verbinden wir viele traditionelle Werte. Denken Sie nur an Geldgeschenke oder an rituelle Handlungen – ob das jetzt ein Münzwurf in den Brunnen oder den Klingelbeutel ist. Es gibt ja bei Hochzeiten in bestimmten Ländern das Ritual, die Braut mit Geldscheinen zu schmücken. All das ruft Bilder hervor, die unmittelbar mit der Haptik des Geldscheins zu tun haben. Diese Bilder wollen wir auch nicht so einfach aufgeben. Das ist mancherorts vielleicht nicht ganz so tief verankert, aber bei uns im deutschsprachigen Raum ist diese Tradition eben noch sehr stark.

„Die Bilder, die durch Bargeld hervorgerufen werden, wollen wir nicht so einfach aufgeben.“

Prof. Dr. Julia Pitters

In skandinavischen Ländern wie Schweden beispielsweise stößt die Abschaffung des Bargelds auf mehr Akzeptanz als bei uns. Das würde sich unter anderem damit erklären lassen, dass hier traditionelle Werte weniger wichtig sind als der Wert der Fortschrittlichkeit. So waren die Schweden in Europa auch unter den Ersten, die das Papiergeld eingeführt haben. Während man im deutschsprachigen Raum die Haptik von Banknoten mit einer wertvollen Tradition verbindet, identifizieren sich die Skandinavier womöglich schneller mit innovativen Bargeldalternativen. Traditionen müssen natürlich auch weitergegeben werden. Aktuell zumindest ist die Beliebtheit aber noch sehr groß. Die meisten von uns sind ja mit dem Wissen um Bargeld als dominantes Zahlungsmittel aufgewachsen oder haben zumindest ihre Eltern beim Barzahlen beobachtet.

Gerade die D-Mark wird rückblickend als Stabilitätsanker mit Identifikationspotenzial geschätzt. Gibt es Anzeichen, dass auch Eurobanknoten ein ähnliches Potenzial entfalten könnten?

Ja, denn in einer immer unsicherer werdenden Zeit ist es ein menschlicher Reflex, auf Bewährtes zurückzugreifen. Insbesondere die ältere Generation hat den Euro zunächst mit ihrer Ursprungswährung verglichen, also die Deutschen mit der D-Mark. Viele äußerten entsprechend zunächst Skepsis. Im Grunde hat sich der Euro aber bewährt und war auch bis vor Kurzem eine Währung in einem lang andauernden Zeitalter niedriger Inflation.

Ich denke, Generationen, die mit dem Euro aufgewachsen sind, haben wieder ein ähnliches Näheverhältnis wie damals die Deutschen zur D-Mark. Sie bewerten die Gemeinschaftswährung als eine stabile, sichere wä. Außerdem wird dieses Medium Euro noch viel mehr zur Identifikation beitragen. Man versucht das ja auch. Beispielsweise, indem man die Bevölkerung in die Gestaltung der Euroscheine einbezieht und überlegt, was man auf die Banknoten druckt, damit die Menschen sich in Zukunft vielleicht noch stärker damit identifizieren. Das ist zwar im Vergleich zur D-Mark eine größere Herausforderung, denn damals stifteten bekannte Persönlichkeiten Identifikation und erleichterten den Menschen das Erinnern. Die Entscheidung beim Design der Eurobanknoten war jedoch eine bewusste, zum Beispiel für fiktive Gebäude …

… oder Brücken.

Ja, genau, abstrakte Brücken. Damit niemand, so möchte ich fast sagen, darüber streitet, welche Persönlichkeit auf welchem Geldschein abgebildet ist. Das war damals eine diplomatische Entscheidung. Heute hört man immer häufiger von einem Umdenken in Richtung konkreterer Symbole, um die Einprägsamkeit der Motive zu verbessern und die grenzüberschreitende Funktion der Banknoten auch psychologisch noch weiter zu stärken. Man könnte aus der Haptik, von der ich sprach, im gesamten Euroraum noch mehr Vertrauenskapital schlagen. Ich finde, da gehen wir fast ein bisschen bescheiden mit um! Insgesamt gesehen hat der Euro ein großes Identifikationspotenzial. Er ist deswegen ein gutes Medium, weil er vertrauensstiftend ist, weil er funktioniert und die Leute sich auf ihn verlassen können.

Anfangs wurde über den „Teuro“ in Medien und Öffentlichkeit gespottet, später verlagerte die Corona-Pandemie das Bezahlen ins Digitale. Jetzt wächst das Bargeldaufkommen wieder. Welche Gründe sehen Sie?

In Corona-Zeiten haben wir das sogenannte Bargeldparadoxon erlebt. Obwohl zum einen durch die Lockdowns Menschen vermehrt im Internet eingekauft haben und zum anderen aus Hygienegründen an der Ladenkasse dazu angehalten wurden, bargeldlos zu zahlen, stieg die Bargeldnachfrage. Der Grund ist, dass Bargeld für viele als Wertaufbewahrungsmittel diente und daher fast schon gehortet wurde. Zu Pandemiebeginn habe auch ich bei mir diesen Reflex beobachtet, mich am Bankautomaten mit Bargeld versorgen zu wollen. Man hat schon das Gefühl gehabt, dass die haptischen Scheine erst einmal Sicherheit versprechen. Zusätzlich hatte das natürlich auch mit der Niedrig- oder Nullzinspolitik zu tun. Zumindest Letzteres wird sich wieder ein bisschen entspannen, weil es ja in der Folge von Leitzinserhöhungen auch wieder Zinsen für Erspartes geben wird, aber der Reflex, in Krisen auf das Haptische, Sichere zurückzugreifen, wird wohl bleiben.

Wie würden Sie das definieren, was in der öffentlichen und Fachdebatte „Bargeldreiz“ genannt wird?

In der Psychologie und Verhaltensökonomie beschäftigen wir uns viel mit diesem Reiz des Bargelds und mit der Wirkung von Geld auf Menschen im Allgemeinen. Schon bei kleinen Kindern kann man beobachten, dass sie sehr früh auf Münzen reagieren. Auf Scheine übrigens noch nicht, da Banknoten erst als Geld interpretiert werden müssen. Münzen lösen jedenfalls, wie Versuche uns zeigen, einen ganz spezifischen Reflex aus, der bei Älteren dann auch im Fall von Banknoten zu beobachten ist. Dieser Reflex sorgt dafür, dass ein Teil des limbischen Systems, der Nucleus accumbens, aktiviert wird. In dieser für das Belohnungssystem des Gehirns wichtigen Region wird der Botenstoff Dopamin ausgeschüttet. Eine ganz ähnliche Reaktion wie beim Essen oder Drogenkonsum. Wenn ich Geld sehe, dann löst das einen Zielerreichungsreflex aus.

„Zahlungsalternativen können den Bargeldreiz im menschlichen Gehirn noch nicht auslösen.“

 

Julia Pitters
Prof. Dr. Julia Pitters

Frühe Experimente hierzu hat die Psychologin Kathleen Vohs in den Vereinigten Staaten durchgeführt. Sie konnte zeigen, dass Menschen, die einem Geldstimulus ausgesetzt wurden, automatisch egoistischer und selbstgenügsamer wurden. Im Vergleich zur Kontrollgruppe ohne Geldstimulus wählten diese Personen einen größeren Abstand zu Kommunikationspartner oder -partnerin, haben weniger nach Hilfe verlangt und weniger Hilfe angeboten. Dieser Geldreiz ist ein unbewusster Prozess, der aber etwas ganz Spezifisches mit uns und unserem Gehirn macht. Das Interessante: Alternativen zu Bargeld können das so noch nicht auslösen. In der Evolution muss sich das erst noch herausbilden.

Stichwort Evolution: Wie schwer wiegen Faktoren wie Alter, regionale oder soziologische Unterschiede? Definiert auch die mit dem Smartphone aufwachsende „Generation Z“ ihr Verhältnis zu Banknoten neu?

Als wir aufgewachsen sind, haben wir unsere Eltern dabei beobachtet, wie sie Bargeld verwendet haben. In der „Generation Z“ und der noch jüngeren „Generation Alpha“, den seit 2010 Geborenen, schwindet oder verblasst das. Deren Eltern sind selbst größtenteils oder ausschließlich mit Smartphone-Bezahlfunktionen aufgewachsen. Und man kann ja nur das vermissen, was man auch kennt.

Ich sehe da gerade einen Scheidepunkt. Wir haben jetzt in etwa die Hälfte der Generationen, die noch mit rein analogem Bezahlen aufgewachsen sind, die andere Hälfte ist zunehmend digitalisiert aufgewachsen. Interessant ist jetzt der Blick auf die Jugend. Ich würde jungen Menschen gar nicht pauschal unterstellen, dass sie etwas gegen Bargeld haben. Studien zeigen das auch. Wenn junge Menschen Bargeld allerdings schlicht nicht mehr kennen, dann verschwindet das einfach so. Dann haben alternative Bezahlmethoden leichtes Spiel und es beschwert sich niemand mehr, weil es eigentlich niemand vermisst.

Für die Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger, die das Bargeld als Zahlungsmittel erhalten wollen, ist es wichtig, gerade jetzt auf die Jugend zu schauen, zu fragen, was sie zum Beispiel beim Design anspricht, und Nischenfunktionen herauszuarbeiten. Alle Handlungsalternativen im digitalen Raum ähneln sich ja sehr stark. Das heißt, Bargeld ist eigentlich das einzige Zahlungsmittel mit dieser gewissen Haptik. Das kann und muss man, wie ich finde, auch in Zukunft ausbauen.

Gibt es denn auch regionale oder soziologische Unterschiede?

An unserem Trendforschungsinstitut arbeiten wir mit Typologien wie „urban“, „jung und urban“, „aufgewachsen mit und umgeben von neuen Technologien“. In diesen Fällen ist natürlich die Wahrscheinlichkeit, dass ich auf Alternativen umsteige, hoch. Wohingegen auf dem Land die Dinge noch etwas anders laufen und viele Traditionen, die mit Bargeld zu tun haben und von denen ich eingangs sprach, eher gelebt werden. Ob das jetzt der Klingelbeutel oder der Kasten für die Münzen in Sparvereinen ist: Traditionellerweise liegt in ländlichen Regionen mehr Gewicht auf dem Bewährten, wohingegen man in Städten eher offen für Neues ist.

Also, Bitcoin hin, digitaler Euro her: Haben gedruckte Banknoten trotz allem eine gesicherte Zukunft? Welche Perspektiven sehen Sie für gedruckte Banknoten mit höchsten Produktions- und Sicherheitsstandards sowie für den digitalen Euro?

Wenn man Menschen fragt, ob man etwas abschaffen soll, dann sind normalerweise alle immer dagegen, weil man ja ungern etwas aufgibt. Im Verlustbereich sind wir sensibler als im Gewinnbereich. Das ist eine der zentralen Lehren aus der Wirtschaftspsychologie. Wir wissen, dass es Menschen mehr schmerzt, etwas herzugeben, als wenn das Gleiche auf der anderen Seite hinzugewonnen wird.

Nehmen wir als ein aktuelles Beispiel einmal die 10.000-Euro-Bargeld-Obergrenze, von der Bundesinnenministerin Faeser im Zuge der Debatte um organisierte Kriminalität sprach: Es gab einen Aufschrei, auch wenn das sehr viele Menschen wahrscheinlich gar nicht betrifft, weil sie so große Rechnungen niemals mit Bargeld bezahlen. Aber immer, wenn uns etwas weggenommen werden soll, dann wollen wir das erst mal nicht.

Allein deshalb sehe ich überhaupt kein Problem bei dem Angebot mehrerer paralleler Bezahlformen, solange nicht die eine dadurch eingeschränkt wird. Genau das muss man sich immer wieder klarmachen. Es spricht nichts gegen ein digitales Zentralbankgeld, solange es weiterhin auch Bargeld gibt. Wenn die Leute nach der kompletten Substitution des Bargelds fragen würden, dann wäre wahrscheinlich wieder ein Aufschrei da. Wenn man jedoch am Bargeld festhält und zusätzlich ein digitales Zentralbankgeld, eine sogenannte Central Bank Digital Currency (CBDC), wie sie aktuell ja diskutiert wird, einführt, dann kann man eigentlich nicht dagegen sein.

Frau Prof. Dr. Pitters, vielen Dank für das Gespräch!